Nordrhein-Westfalen

Verkehrswende braucht mehr Bus, Bahn und Rad - und Steuerung des Pkw-Verkehrs, gerade im Ruhrgebiet

Neben der Förderung von Bus und Bahn und Rad bedarf es einer Regulierung des Autoverkehrs - gerade im Ruhrgebiet, wo etwa die Parkgebühren im bundesweiten Vergleich besonders niedrig sind. Das schreibt der VCD NRW in einer Stellungnahme für den Regionalverband Ruhr.

 

Der RVR erstellt derzeit ein regionales Mobilitätsentwicklungskonzept für das Ruhrgebiet. Im begleitenden Arbeitskreis ist auch der VCD NRW vertreten. Inzwischen haben die beauftragten Gutachter einen <link https: www.metropoleruhr.de fileadmin user_upload metropoleruhr.de aktuelles_presse pdf_2018 external-link-new-window external link in new>Analysebericht mit Stärken und Schwächen vorgelegt. Dazu äußert sich der VCD NRW e.V.

Grundsätzliche Anmerkungen:

- Zu Beginn des Berichts ist von Verkehrswende und postfossiler Mobilität die Rede. Der VCD NRW sieht aus der - durchaus umfangreichen - Analyse und den benannten Stärken und Schwä­chen noch nicht, wie ausreichend dahin gesteuert werden kann.

- Es ist nicht zu erkennen, inwieweit sich die Analyse auch auf künftige Entwicklungen sowie Potenziale (technisch, ökonomisch, gesellschaftlich) bezieht. Szenarien - aus denen man dann etwa entsprechenden Handlungsbedarf ableiten könnte - kommen jedenfalls nicht vor.
 
- Parken (Platzzahl, Management, Gebühren, ...) als einer der wichtigsten Verkehrs-Faktoren kommt über­haupt nicht vor. Gerade hier besteht aus Sicht des VCD NRW Bedarf für regionale Analysen und Ver­gleiche. Der VRR hat das Unternehmen civity beauftragt, die Gründe der Fahr­gastverluste der ersten Monate des Jahres 2018 zu quantifizieren. In dem Zusammenhang wurde u.a. eine Übersicht der Parkgebühren in VRR-Städten im Vergleich mit den Kosten für ÖPNV-Tickets erstellt. Die Ergebnisse wurden in der öffentlichen Sitzung des Tarif- und Marketing­aus­schusses am 21.11.2018 vorgestellt. Das Protokoll inklusive der Schau­bilder von civity liegt noch nicht vor: Wenn dies der Fall ist, sollten die Erkenntnisse in den Analysebericht einfließen bzw. weitere Erhebungen angestellt werden.

- Digitalisierung wird fast nur in Bezug auf Information (von Kunden und Verkehrsträgern) gesehen. Echte steuernde Funktionen kommen nur kurz beim Autobahnverkehr vor. Mobilitätsmanagement wird in einem Abschnitt nur sehr allgemein beschrieben. Wichtig wäre zu erfahren, wie viele Stand­orte machen in diesem Bereich etwas und mit welcher Wirkung.
 
- Die Analyse zum ÖPNV bezieht sich überwiegend auf Schienenverkehr und auf Relationen zu bzw. zwischen Zentren und Großzielen. Die an Bedeutung immer weiter zunehmenden längeren tangentialen Verbindungen in und zwischen Städten abseits der Zentren werden nicht betrachtet, das dafür relevante Produkt Schnellbus ist ebenfalls nicht Teil der Analyse.

- Es wäre auch sinnvoll, die Situation und Wirkung bundesweiter Rahmenbedingungen auf den regionalen Verkehr anzuschauen: Dienstwagenregelungen, Entfernungspauschale, Parkplatz­kosten (Firmen, Bewohner) etc.

- Die Themen Wirtschaftsentwicklung und Kaufkraftverteilung als wesentliche Faktoren für den Personen-Verkehr werden nicht untersucht.

- Beim Thema Pendleranalyse wäre der Hinweis nützlich, dass die Wege zur Arbeit u. Ausbildung nur ca. 1/3 aller Wege ausmachen, um das richtig einordnen zu können.

- Grundsätzlich wären bei den Erreichbarkeitsanalysen Aussagen zur Differenz zwischen Pkw und ÖPNV von Bedeutung zusätzlich zu den jeweiligen Verkehrsmittel-Werten. An manchen Stellen wurden Unter­suchungen durchgeführt, deren Ergebnisse nicht zielführend sind, z.B. Fahrraderreichbarkeit von Bau­märkten (S. 61) 
und Fahrraderreichbarkeit von Geburtskliniken (S.70). Dort sind  etwa ÖPNV und Fahrrad offensichtlich wenig relevant, da wären dann Einkaufszentren passender.

- Wären bei der Analyse der überregionalen ÖV-Verbindungen nicht z.B. Kassel, Leipzig oder Siegen wich­ti­ger als Wien und Interlaken?

- SPNV-Qualität: Pünktlichkeit und Zugausfälle sollten genauer nach ihren Ursachen analysiert werden, da dies eine wesentliche Schwäche des SPNV und wesentlich komplexer als im Straßenverkehr ist. Nur so kann anschließend geklärt werden, was zu tun ist. Es geht u.a. um Flexibilität des Netzes (Ausweichstrecken, Redun­danz von Leiteinrichtungen,..), Sicherung der Hauptstrecken gegen unkontrollierten Zugang (z.B. "Personen im Gleis"), Qualitätssicherung bei und gegenüber den Bahnunternehmen etc.

- ÖPNV-Tarif:  nicht aufgeführt sind "Solidartickets" für alle Personen einer bestimmten Nutzer­gruppe: KombiTickets, Semestertickets, Firmentickets, die günstige Preise und Nutzungsanreize bieten. Bei den zum Vergleich herangezogenen Pkw-Kosten sind realistisch tatsächlich nur die variablen Kosten anzusetzen, da der Pkw-Besitz an sich oft praktisch nicht zur Diskussion steht.

- Für Multimodalität und Sharing wäre eine Schätzung zum (geringen) realen Verkehrsanteil dieser Verkehrsformen erhellend. Vorhandene und ausbaufähige individualisierte Formen des ÖPNV vom Taxi bis zum Sammeltaxi und On-Demand-Bus werden nicht betrachtet, obwohl diese u.a. für die barrierefreie ÖPNV-Nutzung von Tür zu Tür wichtig sind.

- Konkrete Zahlen zu Umweltwirkungen (und verbindlichen Umweltzielen) fehlen, insbesondere Entwicklung und Ziel(nicht)erreichung im Bereich Klimaschutz als ganz wichtige Handlungs­auf­forderung.

- Bei der E-Mobilität ist unbedingt auf den wichtigsten Sektor, nämlich den Bahnverkehr, ein­zu­gehen. Die Bahnen in Essen oder Dortmund haben eine elektromobile Verkehrsleistung äqui­valent zu vielleicht 50.000 E-Autos. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass E-Antriebe nicht prinzipiell umweltfreundlich sind. Der Strom-Mix und der Herstellungsprozess von Batterien sind da wichtige Einflussfaktoren.

- Verkehrssicherheit: die Bedeutung der Geschwindigkeit(sbeschränkung) und der Straßenraum­gestaltung für die Verkehrssicherheit wird nicht thematisiert.

- Raumanalyse (S. 148ff): Die dargestellten 7 Typen und ihre räumliche Zuordnung lassen er­heb­liche Zweifel an der Validität der zurunde liegenden Daten aufkommen (Abb. 109, 110 und 111). Dass Ennepetal und Breckerfeld die gleiche Raumstruktur wie Castrop-Rauxel, Lünen oder Unna haben sollen, ist nicht nachvollziehbar. Dementsprechend sind die dargestellten differenzierten modal-splits höchst fragwürdig, danach wäre in ländlichen Regionen der MIV-Anteil geringer (33%) als in den Kernmetropolen (41%). Auch wenn keine vollständigen Szenarien gerechnet werden, braucht man doch einige Aussagen über die weitere verkehrliche Entwicklung, um richtige Hand­lungsempfehlungen geben zu können.

- Auch die Modal-Split-Vergleiche (S. 21) sind seltsam: Für die Stadt Kopenhagen lauten die aktuellen Werte: Zu Fuß 17%, Rad 30%, MIV 33%, ÖV 20%. Nun beziehen sich die RVR-Daten auf die "Metropolregion", mit dem Umland zusammen können die Werte tatsächlich ziemlich anders sein. Irreführend ist es aber doch, dann sollte zumindest Stadt (entspricht etwa den kreisfreien Ruhr-Städten) UND Region genannt werden.

- Es sollte stärker auf umweltfreundlichere Logistikkonzepte für den Nah- und Ferngüterverkehr ein­ge­gangen werden, Citylogistik und Zustelldienste sind nur ein kleiner Teil dieses Themas.

- Die Güterverkehrsdrehscheibe Duisburger Hafen trägt sicher auch zur Umweltbelastung bei, so wie auch alle anderen Güterverteilzentren und Logistikcenter, besonders im östlichen Ruhrgebiet. Wenn dort Waren be-, ent- und umgeladen werden, die nicht im Ruhrgebiet produziert oder konsu­miert werden, bringen diese Einrichtungen keinen besonderen Standortvorteil für das Ruhrgebiet. Diese Form der Güterverteilung stellt ein immenses Problem für die Umwelt dar (siehe Grafik Straßenlärmbelastung S.132). Anders wäre es, wenn es gelänge, einen möglichst großen Anteil der Waren mit der Bahn oder auf den Kanälen zu transportieren. Dazu bräuchte es im Osten und im Westen Verladestationen, damit die Güter, die auf der Straße ankommen, auf Schiffe oder Bahnen umgeladen werden können (z.B. Cargo-Beamer). Neue Logistikcenter dürften nur genehmigt werden, wenn derartige Verladestationen bestehen und auch genutzt werden. Viele dieser Einrichtungen liegen neben Schienenstrecken, nutzen sie aber nicht, wie z.B. DHL in Hagen. In Duisburg gibt es einen Containerbahnhof. Andernorts wurden diese abgebaut. Dass in Duisburg Container, die mit dem Schiff kommen, auf die Bahn umgeladen werden, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass an vielen Kanalhäfen die früheren Gleisanschlüssen nicht mehr genutzt werden. Wichtig ist der trimodale Anschluss bei allen Häfen.

- Zwar ist der Anteil des Güterverkehrs auf den Wasserstraßen hoch (siehe Grafik zum Model-Split S. 112): Wasserstraße 30 %, Schiene 15 %, Straße 55 %. Das westdeutsche Kanalnetz ist aber 100 Jahre alt. Das ganze System ist zum Teil ähnlich marode ist wie die Bahninfrastruktur. Prinzi­piell gibt es an jeder Staustufe ein Schleusenpaar. Ist eine Schleuse kaputt und muss repariert werden, kann die andere weiter genutzt wer­den. Also sollten überall zwei Schleusen bestehen bleiben und nicht wie in Waltrop von ehemals drei Schleu­sen bzw. Hebewerken nur noch eine Schleuse in Betrieb sein. Geht diese kaputt, ist der Dortmunder Hafen mit dem Schiff nicht mehr zu erreichen (meines Wissens hat es diese Situation vor gar nicht langer Zeit ge­geben). Etwas aben­teuerlich ist die Situation am Wesel-Dattel-Kanal: Weil die Nischenpoller in den Schleu­sen­kam­mern der Zugkraft der großen Binnenschiffe nicht mehr standhalten, dürfen sie seit Ende 2017 nicht genutzt werden. 34 sogenannte „Festmacher“ sorgen seit Anfang Dezember 2018 da­für, dass die Kapa­zitäten der Kammern wieder voll ausgenutzt werden können. Es müssten also Mittel in den Erhalt und die Erneue­rung der Schleusen fließen, damit der Anteil von mindestens 30 % der Schifffahrt am Güterverkehr erhalten bleibt bzw. ausgebaut werden kann.

Konkrete Anmerkungen zu den Stärken-Schwächen-Analysen

- S. 83 Mobilitätsmanagement:
"wird systematisch nicht genutzt"; ja, oder noch deutlicher: deutet auf großes Potenzial, wenn dies geschehen würde durch stärkere Anreize und verbindliche Regelungen, insbesondere bei Institu­tionen und Unternehmen

- S. 85 Qualität ÖPNV:
Verweis auf Berichte KC NRW, ergänzen: sowie die Qualitätsberichte der ZVs

- S. 91 Tarife
Der VCD NRW hält den VRR-Tarif nicht grundsätzlich für unübersichtlich, sondern im Gegenteil im bundesweiten Vergleich für eher einfach (wenig Preisstufen, klare Struktur); dieses wird allerdings durch die zunehmende Binnendifferenzierung verstärkt infrage gestellt (z.B. A1-A3 auch im Bar­tarif)

- S.93 Angebote für Gelegenheitskunden
Die geforderte Vereinheitlichung im VRR wurde mit der Einführung des 4 Stunden-Tickets für Gelegen­heitskunden zum 1.1.19 zum Teil erreicht, aber wieder beeinträchtigt durch die Begren­zung auf A1/A2-Städte

- S. 106 Tarifsystem
Tarifsystem im VRR stößt zunehmend an Preisgrenzen, Preisniveau im Westfalentarif für viele unattraktiv

- S. 140ff Umwelt- und stadtverträglicher Verkehr
allgemein: Schere zwischen Anstieg Betriebskosten für Pkw und ÖPNV geht immer mehr zulasten des ÖPNV auseinander aufgrund der deutlichen Tariferhöhungen der letzten Jahre, damit umwelt­politisch kontraproduktiv vermehrt Anreize zu Pkw-Nutzung, verstärkt durch Qualitätsprobleme im SPNV

Nutzung effizienter und umweltverträglicher Verkehrsmittel

Schwächen:
- unzureichende Regulierung des Pkw-Verkehrs (Parkraumbewirtschaftung)
- fehlende Anreize, Alternativen zur Alleinfahrt im Pkw zu wählen (Fahrgemeinschaften etc.)
- fehlendes umfassendes, flächendeckendes und verbindliches Mobilitätsmanagement 
 
 S. 159 Mobilität für alle
Schwächen:
- ÖV-Nutzung stößt an Preisgrenzen
- Sozialtickets vorhanden, aber unzureichend (anders als im VRS im VRR nur rabattierte Monatstickets)

Mobilitätsbarrieren abbauen:
Schwächen: Tickets z.T. nicht auf mehreren Vertriebswegen verfügbar (z.B. 7 Tage Ticket, 30 Tage Ticket im VRR wird bewusst auf elektronischen Vertriebsweg beschränkt, mit Folge deutlich geringerer Nutzung als im VRS)

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