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Bochum-Gelsenkirchen-Herne
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Radverkehrskonzept Bochum: Ja, aber...

Die Stadt Bochum hat ein Radverkehrskonzept vorgelegt, das am 19. Apri im Ausschuss für Mobilität und Infrastruktur beraten und am 4. Mai im Rat beschlossen werdensoll. Es enthält viele gute Ansätze, Radwende, ADFC und VCD stellen aber insbesondere die Frage nach der Umsetzung an Haupverkehrsstraßen.

Hier die Stellungnahme im Wortlauf:
Das Radverkehrskonzept (RVK) einer Stadt kann eine wichtige Grundlage für Planungen sein, um den Radverkehrsanteil einer bisher durch das Auto geprägten Stadt wesentlich zu erhöhen und damit zu einem deutlich attraktiveren Stadtbild und mehr Lebensqualität beizutragen. Zusätzlich kann es - wenn politisch gewollt - ein wichtiger Baustein in einer Verkehrswende sein.
Ein solcher Wille ist in dem vom Rat in Auftrag gegebenen und von MOBICON und nts vorgelegten Entwurf des RVK formuliert. Das Konzept selbst enthält jedoch Leerstellen. Zudem bestehen Zweifel, ob die gesteckten Ziele durch die Umsetzung des vorgestellten priorisierten Maßnahmenkatalogs in einem angemessenen Zeitrahmen erreicht werden können.

Die Radwende, ADFC und VCD sehen vor allem bei folgenden Punkten Nachbesserungsbedarf:

Zielwert für den Anteil des Radverkehrs bleibt bei 25%
Der im neuen Radverkehrskonzept ausgewiesene Zielwert an allen Verkehren (Modal Split) bleibt bei 25% und entspricht somit dem erst kürzlich verabschiedeten Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz. Das Konzept sieht aber einen längeren Zeitraum bis zur Zielerreichung vor. Bis 2030 begrenzt man ihn auf „realistische“ 15%. Das ist nichts anderes als die Feststellung einer unzureichenden Radverkehrspolitik der letzten acht Jahre, in denen man das mit der Aufnahme in die AGFS (Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW) im Jahre 2016 formulierte Ziel von 25% bis zum Jahr 2030 offensichtlich nicht entschieden genug angegangen ist. Dem Bedauern darüber müssen Vorkehrungen folgen und angewendet werden, die im RVK im Kapitel 13 beschriebenen Maßnahmen der Wirkungskontrolle und Qualitätssicherung aufgelistet sind: Unfallanalysen, Zählungen, Mobilitätsbefragungen, ADFC-Fahrradklima-Test, turnusmäßige Fortschreibung. Wer nicht regelmäßig überprüft, ob er seine Ziele erreicht, wirkt unglaubwürdig. Der 25% Radverkehrsanteil bleibt gesetzt!

Erfasste, sicherheitsrelevante bauliche Mängel umgehend abstellen
Am Beginn der Arbeit an dem neue RVK stand eine genaue Analyse des bestehenden Radverkehrsnetzes für den Alltagsverkehr in Bochum. Akribisch ist der Zustand über eine Länge von 557 Km Meter für Meter erfasst, in einem digitalen Radwegekataster festgehalten und anschließend nach acht baulichen und vier sicherheitsrelevanten Merkmalen bewertet worden. Hieraus haben die Gutachter für den Bestand ein umfangreiches Handlungskonzept abgeleitet, das klare Prioritäten aufweist und Vorschläge für die Reihenfolge ihrer Bearbeitung macht. Das Ergebnis ist ernüchternd: 145 Km des bestehenden Radwegenetzes weisen einen hohen Handlungsbedarf auf. Manche Maßnahmen dulden keinen Verzug. Erfasste sicherheitsrelevante bauliche Mängel sind umgehend abzustellen.

Fehlende Übereinstimmung zwischen Zielnetz und Handlungsbedarf beseitigen, Maßnahmenkatalog in Bezug auf die Hauptrouten anpassen
Das RVK beschreibt ein aus unserer Sicht sehr wünschenswertes und flächendeckendes Zielnetz (Karte22, S. 79) mit Verbindungen von den Stadtteilen zur Innenstadt und zwischen den Stadtteilen. Bedauerlicherweise fehlt im Konzept ein klarer zeitlich festgesetzter Fahrplan, wie dieses Zielnetz erreicht werden kann.
Im RVK sind alle Cityradialen und der Innenstadtring sowie wichtige Querverbindungen vollständig im Zielnetz enthalten. Ihr Ausbau wird in Abschnitt 8.3 als unerlässlich bezeichnet: "Hauptrouten / Radwege insbesondere an Hauptverkehrsstraßen im Folgenden als „Hauptrouten“ bezeichnet sind ein weiterer wichtiger Baustein des Basisnetzes für die Stadt Bochum. Es dient zur Verbindung der Stadtteile und ermöglicht die Erreichbarkeit zentraler Bereiche. So heißt es im RVK zurecht: "Die Hauptrouten werden vorrangig entlang des Vorrangstraßennetzes für den Kfz-Verkehr geführt. Ein Ausbau entlang dieser Strecken zur Erreichbarkeit der direkt anliegenden Wohnhäuser sowie Geschäfte ist unumgänglich.“ (Hervorhebungen Radwende/VCD/ADFC)
Auch im Rahmen der Bürger:innenbeteiligung zum RVK wurde vielfach und klar der Wunsch nach einem durchgehenden Radverkehrsnetz auf den Hauptrouten geäußert (vergl. Mentimeter Auswertung der zweiten Bürger:innenbeteiligung). Dafür haben auch 17.000 Menschen im Radentscheid gestimmt.
Zu den Hauptverkehrsstraßen, die im Zielnetz  enthalten sind und Radwege benötigen (Karte 22, S. 79  RVK), gehören insbesondere Königsallee, Hattinger Str., Wittener Str., Universitätsstraße, Herner Str., Dorstener Str., Alleestr./Essener Str./Wattenscheider Hellweg, Castroper Hellweg, Werner Hellweg, Harpener Hellweg und der Straßenzug Ückendorfer Str. – Lyrenstr. - Berliner Str. - Zeppelindamm – Munscheider Damm – Wuppertaler Str. (Verbindung Gelsenkirchen - Hattingen).  
Hier offenbart sich eine Leerstelle: Das Radwegekataster berücksichtigt noch keine Straßen oder Straßenabschnitte, die nicht im bestehenden Radwegeweisungsnetz auftauchen. Insofern ist es nicht identisch mit dem zukünftigen Zielnetz in Bochum. Die Wittener Straße wird zukünftig in ganzer Länge zur Hauptroute, ist aber im Kataster erst teilweise erfasst. Seine Fortschreibung ist also zwingend geboten. Deswegen sollte Karte 35 (Handlungsbedarf) mit Karte 22 (Zielnetz) abgeglichen werden, um für alle Strecken des Zielnetzes den Handlungsbedarf zu markieren.
Wünschenswert wäre aus unserer Sicht auch eine Einschätzung der Ingenieurbüros, an welchen Stellen eine Verbesserung der Netzstruktur den größten Einfluss auf die Steigerung des Radverkehrs hätte.

Klare Maßnahmenplanung für die nächsten vier Jahre erforderlich
Um Spekulationen um den Umsetzungshorizont des Ausbaus der Hauptrouten aus dem Wege zu gehen, sollte nach Auffassung von Radwende, ADFC und VCD die Verwaltung nach Verabschiedung des RVK für die kommenden vier Jahre offen darlegen, welche konkreten Vorhaben sie aus dem vor einem Jahr beschlossenen Maßnahmenbündel (Mitteilung d. V. Nr.: 20222462) realisieren wird/will und was sie aus dem Maßnahmenkatalog des RVK unmittelbar und konkret angehen wird.
Die Hauptverkehrsstraßen sollen im Mittelpunkt des Radnetzausbaus stehen. Hierbei sind Planung und Bau von durchgehenden Radwegen insbesondere an City-Radialen und dem Innenstadt-Ring mit höchster Priorität aufzunehmen. Dies muss auch an den Plan- und Realisierungszeiten zu erkennen sein. Es ist bekannt, dass die Radwende beim Ausbau des Radhauptroutennetzes schnellere Fortschritte sehen will, als die Politik sie bisher beschlossen hat. Deshalb wiederholt sie ihre Forderung, dass jährlich zehn Kilometer Straße im Radhauptroutennetz beidseitig mit Radwegen bebaut bzw. geplant werden.

Umsetzung aller systemischen Notwendigkeiten für mehr Radverkehr
Neben einer guten Netzstruktur sind es auch andere Dinge, die das Radfahren im Alltag erleichtern und fördern: sichere und gute Abstellplätze, besonders in den Wohngebieten; sichere Schulwege, die das Elterntaxi völlig überflüssig machen. Auch hierzu bietet das Konzept detaillierte Hilfestellungen. Die sechs dort exemplarisch ausgearbeiteten Schulwegpläne müssen umgehend angegangen werden, und die hierbei gewonnenen Erfahrungen zügig bei der Planung für alle anderen Bochumer Schulen – auch für Grundschulen – genutzt werden.

Wirkungskontrolle und Qualitätssicherung
Radwende, ADFC und VCD halten das neue RVK für ein vielversprechendes Konzept, dessen Wert sich in der Umsetzung zeigen wird. Wir haben dargelegt, welche Punkte hier für uns relevant sind. Grundsätzlich gilt, dass es die messbaren Fortschritte sind, die zählen. Sich und der Öffentlichkeit hierüber einmal im Jahr Rechenschaft abzulegen, gehört zu diesem Konzept. Ein funktionierender städtischer Mängelmelder und ein öffentlicher Zugang zum Radverkehrskataster sind für die Qualitätssicherung notwendig.

Velorouten – eine echte Chance für mehr Radverkehr?
Nach unserer Auffassung stellen Velorouten eine Option dar, deren Realisierbarkeit und Wirksamkeit sich noch erweisen muss. Die im Konzept formulierten Standards bezüglich Lage, Ausbau und Anlagenmerkmale beschreiben ein Ideal, welches sich gegenüber Geschwindigkeitsansprüchen des motorisierten Verkehrs, Parkinteressen der Bewohner oder den Rahmenbedingungen verkehrsberuhigter Zonen noch durchsetzen muss. Entscheidend wird sein, ob sich ihre „direkte“ Linienführungen tatsächlich an den „großen potentiellen Quellen und Zielen des Radverkehrs orientieren. Dazu zählen beispielsweise das Stadtzentrum, die Stadtteilzentren, Schulen, große Arbeitgeber, Wohngebiete oder Hochschulen“ (S. 83). Besonderes Augenmerk ist auf die Knotenpunkte zu legen, um hier die Sicherheit und Flüssigkeit für Radfahrende zu gewährleisten. Die Bochumer Fahrrad-Community wird die Realisierung der Veloroute (z.B. 11) verfolgen und auf die Einhaltung der Standards achten. Der Ausbau der Radwege auf den Hauptstraßen darf aber wie oben bereits ausgeführt nicht vernachlässigt werden.

Der Entwruf des Radvekehrskonzeptes findetn sich hier.

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